Von Luhmann zu Bateson: Ein kontradiktorisches Modell für Organisationen

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Einleitung

In der systemischen Organisationstheorie hat Niklas Luhmann mit seinem Ansatz, Organisationen als operativ geschlossene soziale Systeme zu betrachten, eine dominante Perspektive etabliert. Dieser Fokus auf Kommunikation als einziges Element sozialer Systeme hat sich im systemischen Sozialmanagement als analytisch und praktisch leistungsfähig erwiesen. Dennoch erkennen wir, dass Luhmanns Theorie bestimmte Dimensionen ausklammert, die für die Gestaltung und Veränderung von Organisationen essenziell sein könnten.

Unser Vorhaben ist es, ein kontradiktorisches Modell zu entwickeln, das Gregory Batesons ökologische und relationale Perspektive als zentrale Grundlage nutzt. Dieses Modell wird um die Reflexivität von Heinz von Foerster, die Autopoiesis von Humberto Maturana sowie die pragmatischen Methoden von Fritz Simon und Gunther Schmidt ergänzt. Ziel ist es, Organisationen nicht nur als kommunikative, sondern als dynamische, relationale Systeme zu verstehen, deren Beziehungen und Rückkopplungen im Mittelpunkt stehen.


Von Luhmann zu Bateson: Warum ein Perspektivwechsel notwendig ist

Niklas Luhmanns Theorie hat zweifelsohne einen präzisen analytischen Rahmen für die Untersuchung von Organisationen geschaffen. Sein Fokus auf Kommunikation als autopoietisches Element sozialer Systeme erlaubt eine klare Differenzierung zwischen System und Umwelt. Gleichzeitig bringt diese operative Geschlossenheit jedoch Einschränkungen mit sich:

  1. Vernachlässigung von Beziehungen und Kontexten:

    • Luhmanns Theorie betrachtet Beziehungen innerhalb von Systemen lediglich als Funktionen der Kommunikation, wodurch die dynamische Qualität von Interaktionen und Mustern ausgeblendet wird.
    • Bateson hingegen betont, dass Beziehungen und die daraus entstehenden Muster zentrale Elemente jedes Systems sind. Sie prägen nicht nur das System selbst, sondern auch dessen Wechselwirkungen mit der Umwelt.
  2. Rolle des Beobachters:

    • Heinz von Foerster kritisierte Luhmann dafür, den Beobachter nicht konsequent in seine Theorie zu integrieren. Batesons und von Foersters Ansätze legen hingegen großen Wert auf die Reflexivität und die Rolle des Beobachters, der selbst Teil des Systems ist, das er analysiert.
  3. Umgang mit Komplexität:

    • Luhmanns Ansatz bietet durch die operative Geschlossenheit eine klare Struktur, läuft jedoch Gefahr, die ökologische Eingebundenheit und die intersystemische Dynamik von Organisationen zu vereinfachen. Batesons Fokus auf ökologische Kontexte erweitert dieses Verständnis.

Warum Bateson als Grundlage?

Gregory Bateson bietet eine umfassende, relationale Sichtweise, die nicht nur die internen Dynamiken von Organisationen, sondern auch ihre Eingebundenheit in größere Systeme berücksichtigt. Drei zentrale Aspekte seiner Theorie machen ihn zur idealen Grundlage für unser Modell:

  1. Muster, die verbinden:

    • Batesons Konzept der Muster als verbindende Elemente ermöglicht es, Organisationen als Netzwerke von Beziehungen zu analysieren, die über Kommunikationsakte hinausgehen.
  2. Ökologische Perspektive:

    • Organisationen sind nicht isolierte Systeme, sondern Teil eines größeren ökologischen Zusammenhangs. Entscheidungen und Handlungen in Organisationen wirken auf ihre Umwelt zurück, was in der Analyse und Gestaltung berücksichtigt werden muss.
  3. Lernen und Rückkopplung:

    • Bateson unterscheidet zwischen Proto-Lernen (direktes Lernen) und Deutero-Lernen (Lernen über Lernprozesse). Diese Unterscheidung ist für Organisationen essenziell, um nicht nur kurzfristige Anpassungen, sondern langfristige Veränderungen zu ermöglichen.

Ergänzungen durch von Foerster, Maturana, Simon und Schmidt

Unser Modell wird durch folgende Perspektiven erweitert:

  • Von Foerster: Die Betonung der Reflexivität ermöglicht es Organisationen, ihre eigenen Muster zu beobachten und zu verändern.
  • Maturana: Sein Konzept der Autopoiesis und strukturellen Kopplung ergänzt Batesons Ansatz, indem es die Balance zwischen Autonomie und Abhängigkeit von Umweltfaktoren erklärt.
  • Simon und Schmidt: Ihre praxisorientierten Methoden bieten konkrete Ansätze, um die Theorie in die Praxis umzusetzen. Fritz Simons Arbeiten zu Entscheidungsprämissen und Gunther Schmidts hypnosystemische Perspektive bringen den Menschen und seine Wahrnehmung stärker in den Mittelpunkt.

Erhoffter Benefit: Was Organisationen gewinnen können

  1. Mehrdimensionale Analyse:

    • Organisationen können nicht nur durch Kommunikationsprozesse, sondern auch durch ihre relationalen Muster und ihre Wechselwirkungen mit der Umwelt analysiert werden.
  2. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit:

    • Durch Batesons Fokus auf Lernen und Rückkopplung können Organisationen schneller auf interne und externe Veränderungen reagieren.
  3. Integration von Mensch und Organisation:

    • Gunther Schmidts Ansatz ermöglicht es, die subjektive Wahrnehmung der Mitarbeitenden stärker zu berücksichtigen und dadurch Veränderungen nachhaltiger zu gestalten.
  4. Reflexivität und Innovation:

    • Heinz von Foersters Perspektive fördert die Fähigkeit von Organisationen, ihre eigenen Muster zu hinterfragen und innovativ zu handeln.
  5. Nachhaltige Führung und Kulturentwicklung:

    • Das Zusammenspiel von Kultur als emergentem Muster (Bateson) und pragmatischen Interventionsmethoden (Simon, Schmidt) kann Führung und Kulturentwicklung effektiver machen.

Fazit

Unser Vorhaben, den Schwerpunkt von Luhmann auf Bateson zu verschieben, ist weder eine Abkehr von Luhmann noch eine Ablehnung seiner Leistungen. Es handelt sich vielmehr um eine Weiterentwicklung, die die relationalen und ökologischen Aspekte stärker in den Fokus rückt. Batesons Ansatz, ergänzt durch die Reflexivität von Foerster, die Autopoiesis von Maturana und die pragmatischen Methoden von Simon und Schmidt, bietet eine umfassendere und anwendungsorientierte Perspektive.

Dieses Modell hat das Potenzial, Organisationen nicht nur analytisch besser zu verstehen, sondern sie auch in ihrer Gestaltung, Steuerung und Veränderung zukunftsfähiger zu machen. Die Verbindung von Theorie und Praxis wird es ermöglichen, nachhaltige Muster zu schaffen, die sowohl die Organisation selbst als auch ihre Umwelt positiv beeinflussen.